Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient

Die Politik bewegt sich nur, wenn sich die Menschen bewegen. Das ist die zentrale Botschaft von 2011 für das neue Jahr 2012. Und diese Botschaft hat es in sich.

An den großen Finanzzentren campieren Tausende Menschen vor den Börsen. Sie demonstrieren für ein Finanzsystem, das allen Menschen dient und nicht nur wenigen Spekulanten und Bänkern. In Stuttgart wehren sich Hunderttausende gegen die milliardenschwere Verlegung des Bahnhofs in die Tiefe des Raumes, während deutschlandweit wichtige Projekte des öffentlichen Verkehrs wegen Geldmangels aufgeschoben werden. Ebenfalls Hunderttausende gingen nach der Atomkatastrophe in Fukushima auf die Straßen, um Alternativen zur Atomkraft durchzusetzen. Die Eliten in den westlichen Demokratien (oder jene, die sich dafür halten) sehen sich einer bewegten Bevölkerung gegenüber - und ihr Widerstand wird umso größer, je stärker die Eliten an den »normalen« Bürgern vorbeiregieren.

Nordafrika, Syrien, Russland, Kongo: Autokraten in Not

Noch schwerer sind die Zeiten für die Autokraten dieser Welt geworden. Bewegte Bürger haben in wenigen Monaten die autokratischen Herrscher in Tunesien, Libyen, Ägypten und im Jemen entmachtet. In Syrien wächst die Rebellion. Auch in Saudi-Arabien und Bahrain ist die Unruhe groß. In Russland wurden die Menschen um ihre Wählerstimmen betrogen und stehen dagegen auf. Desgleichen im Kongo. Überall haben es die Menschen satt, sich von autoritären, oft korrupten Führern vorführen und betrügen zu lassen.

Globales Bewusstsein für Menschenrechte

Die Gründe für die Rebellionen sind vielfältig. In den westlichen Demokratien haben die Finanzkrise und die Atomkatastrophe in Fukushima den Menschen vor Augen geführt, dass eine wirtschaftliche Entwicklung keine Zukunft hat, die auf unkalkulierbaren Großtechnologien und auf einer ungedeckten Geldschwemme beruht. Da die Politiker bisher keine Auswege weisen, fordern die Menschen diese jetzt selbst ein. Die Aufstände im Süden zeigen, dass nicht nur Wirtschaft und Finanzen globalisiert wurden, sondern auch das Bewusstsein für die Menschenrechte. Weltweit sind die Menschen mündiger geworden. Und weltweit nutzen sie die neuen Informationstechnologien vom Handy bis zum Internet, um sich zu informieren und zu organisieren. Gegen so viel gelebte Gegenmacht werden die Mächtigen immer machtloser.

Und die Politik bewegt sich doch

Bleibt die Frage: Wird die Politik von den bewegten Menschen in die richtige Richtung bewegt? Die Antwort: In Deutschland auf jeden Fall. Noch im Oktober 2010 hatte die Bundesregierung unter Angela Merkel die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke beschlossen; nach Fukushima musste sie die Kehrtwende einläuten. Zu groß wurde der Widerstand der Bürger gegen die Atomkraft. Im Falle von Stuttgart 21 siegten die Befürworter des Tiefbahnhofes in einer bemerkenswerten Volksabstimmung. Doch die Botschaft für Politik und Wirtschaft ist eindeutig: Großprojekte können nicht mehr einfach ausgekungelt werden, es braucht die Beteiligung der Bürger. Und die Occupy-Bewegung? Auch die hat viel bewirkt. Die US-Regierung reguliert das Finanzsystem. Und schon kurz nachdem Bürger in Frankfurt vor der Europäischen Zentralbank campierten, beschlossen Merkel und Co. den Erlass eines Teils der Schulden für Griechenland. Die Politik bewegt sich doch.

Gegenrevolutionen und Rückschläge

Klar ist aber auch: Die Politik muss sich nach Rebellionen oder Revolutionen nicht immer in die richtige Richtung bewegen. In der Ukraine sitzt die ehemalige orangene Revolutionärin im Gefängnis, weil die alten Apparatschiks die Macht wieder erobert haben. Noch weiß niemand, ob die freiheitlichen Ziele derer, die auf dem Tahrir-Platz in Kairo demonstrieren, von der gewählten Regierung in Ägypten je verwirklicht werden. Und niemand weiß, ob die autoritären Regierungen in Russland oder im Kongo nicht plötzlich doch wieder gegen demonstrierende Bürger vorgehen. Doch eines ist auch klar: Auch wenn sich Autokraten durchsetzen, werden sie sich künftig immer wieder mündigen Bürgern gegenübersehen, die sich nicht mehr unterdrücken lassen

Schlechtes Klima in Durban

Wie sehr sich Politik nur bewegt, wenn sich die Menschen bewegen, zeigt die größte Enttäuschung des Jahres 2011: die Klimakonferenz. Rund zwei Wochen saßen Vertreter von fast zweihundert Regierungen im südafrikanischen Durban zusammen und stritten über den Klimaschutz. Am Ende beschlossen die Regierungen zwar, bis 2015 ein verbindliches Abkommen auszuarbeiten, das 2020 in Kraft treten soll. Eigentlich haben sie jedoch beschlossen, erstmal nichts zu tun. Dies bedeutet nichts anderes, als dass Milliarden Menschen den material- und energieintensiven Wirtschafts- und Lebensstil der westlichen Industrieländer übernehmen, der schon heute an Wachstumsgrenzen stößt. Ein immer wärmeres Erdklima, knappe endliche Ressourcen, teure Rohstoffe und unkontrollierbare Folgen des Klimawandels vor allem für die Ärmsten der Armen könnten die Folgen sein. Hier zeigt sich, was passiert, wenn sich nur wenige Menschen bewegen. Zwar wurde die Klimakonferenz in Durban von Umweltorganisationen kritisch begleitet, doch der Klimawandel hat bisher keine Massenbewegungen ausgelöst, weil sich die meisten Menschen vor allem in den Industrieländern bisher vom Klimawandel nicht betroffen wähnen.

Und die Moral von der Geschichte?

So bleiben denn zwei Erkenntnisse aus diesem Jahr - für das nächste Jahr. Die erste: »Eliten nehmt Euch in Acht, die Menschen schauen Euch auf die Finger, auch und gerade dann, wenn Ihr noch so viel vertuschen wollt.« Und die zweite: »Leute, Ihr könnt die Politik verändern, wenn Ihr Euch bewegt, aber nur dann.«

 

Quellentext: http://www.publik-forum.de/

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